Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wie schnell die ordentlichen staatlichen Abläufe behindert oder verunmöglicht werden können. Deshalb haben der Bund und einige Kantone bereits heute eine Notrechtsklausel in ihren Verfassungen. Der Bund hat die Gültigkeit des Notrechts aber aufgrund von schmerzhaften Erfahrungen der Nachkriegszeit im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz zeitlich begrenzt. Der Vorschlag der Urner Regierung und des Landrats sieht zwar eine – vom Regierungsrat zu beschließende – Befristung vor, ohne der Regierung dazu aber eine Grenze zu setzen. Ein Notrechtserlass darf so lange in Kraft bleiben, bis der Landrat wieder tagt.

«Notrecht bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in die demokratische Grundordnung und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger und beinhaltet immer ein Risiko für Missbrauch», meint Eveline Lüönd, Präsidentin der GRÜNEN Uri. Eine Notrechtsklausel soll deshalb nicht in einer Hauruck-Aktion ohne Vernehmlassungsverfahren, ohne öffentliche Diskussion und ohne die für Verfassungsänderungen normalerweise geltende zweite Lesung im Landrat beschlossen werden. Fragen wie die folgenden müssen diskutiert werden können: Wann besteht eine Notlage, die Notrecht rechtfertigt? Wer muss den Notstand ausrufen? Wie lange soll Notrecht gelten dürfen? Soll anstelle des verhinderten Landrats dessen Leitung oder eine Kommission entscheiden können? Würde man nicht besser dafür sorgen, dass der Landrat jederzeit auch über das Internet rechtskräftig entscheiden kann? In welchen Themen ist der Kanton, in welchen ist der Bund für das Notrecht zuständig? Wer entscheidet, wenn bei einem Bruch des Lucendro-Staudamms die Mehrheit des Regierungsrates ums Leben gekommen oder vor einer radioaktiven oder giftigen Wolke geflohen ist und einer gerade wegen einer Operation in einem auswärtigen Spital liegt? Braucht Uri nicht eher ein Dringlichkeitsrecht, durch welches Beschlüsse des Landrates sofort und noch vor der Volksabstimmung in Kraft treten können?  

Das überstürzte Vorgehen von Regierung und Landrat wird unter anderem damit begründet, dass die Gemeinden ermächtigt werden sollen, das Budget für das nächste Jahr ohne Gemeindeversammlung zu beschliessen. Mit Ausnahme von drei werden am Abstimmungstag aber bereits alle Gemeinden ihr Budget beschlossen haben. Zudem: Nach Artikel 10 Absatz 2 des Gemeindegesetzes bestimmen ohnehin allein die Gemeinden «welche Geschäfte der Gemeindeversammlung vorzulegen sind und über welche an der Urne zu befinden ist». Sie können das Budget schon heute an einer Urnenabstimmung beschliessen. Gemeindebudgets sind also kein ausreichender Grund für einen unüberlegten Schnellschuss. Es besteht auch kein Zwang, wirtschaftliche Folgen der aktuellen Notlage durch Regierungsbeschluss abzufedern. Der Landrat tagt monatlich und kann notfalls von der Ratsleitung oder 15 Mitgliedern auch für eine Sondersession einberufen werden.

Die GRÜNEN Uri plädieren deshalb dafür, die aktuelle Vorlage für einen Notrechtsartikel in der Kantonsverfassung abzulehnen und damit der Regierung, dem Landrat, den Parteien und der Öffentlichkeit Zeit für eine fundierte Diskussion und eine differenzierte Regelung zu geben.

 

5. November 2020